Als ich Germanistik noch im Bachelor gemacht habe, war die Arbeit im Verlagswesen der Heilige Gral dessen, was wir alle erreichen wollten. Allen voran das Lektorat, die magisch-mystische Elfenbeindisziplin unter den Buchbranchen-Jobs. Die Antwort auf „Was willst du damit später mal machen?“ war immer „Naja, vielleicht kann ich mal Deutsch als Fremdsprache unterrichten. Oder eben ins Verlagswesen!“
Und jetzt bin hier – im Lektorat eines Verlages, jeden Tag mit Büchern arbeitend. Ich liebe meinen Job, seine Vielseitigkeit, die Kontakte, das Medium Buch …! Warum aber die Branche, in der ich arbeite, ganz und gar nicht der erwähnte heilige Gral ist, schildere ich hier mal etwas ausführlicher.
Wir sind zu viele!
Wie ich oben schon erwähnt habe, ist das Verlagswesen und das Lektorat im Speziellen DIE Traumbranche. Aus dem Grund tummeln sich hier auch in den einzelnen Abteilungen jede Menge Quereinsteigende. Bevorzugt Sprachwissenschaftler_innen aus unterschiedlichen Fachrichtungen, aber auch Personen mit IT-Background, Vertriebsmenschen oder Projektmanager_innen, alle finden potenziell ihr Plätzchen. Das verklärt-verträumte Bild von der magischen Maschinerie, hinter deren geschlossenen Toren die Bestseller von morgen produziert werden, lockt viele. Und viele Leseratten fühlen sich wegen ihres guten Sprachgefühls dazu berufen, bei Verlagen zu arbeiten. Wenn du also zwischen all den begeisterten Uni-Alumni ein Praktikumsplätzchen oder ein Volo bekommen möchtest, kann es passieren, dass du die Ellenbogen ausfahren und viele Bewerbungen schreiben musst. Und das führt mich auch gleich zum nächsten Punkt.
Alle sind ersetzbar!
Hinter deinem Schreibtischstuhl stehen 10 Leute und wollen sich setzen. Bild dir also nicht ein, du würdest unschätzbar gute Arbeit leisten. Diese Branche ist schnell darin, junge, billige Arbeitskräfte einzulernen – beeindruckend, wenn man bedenkt, wie mies sämtliche Onboardings waren, die ich bisher erlebt habe.
Genau dieser Ansturm von Berufseinsteigenden sorgt aber nicht nur vielerorts für fehlende Wertschätzung, sondern auch für eine furchtbare Gehaltslage. Wenn du das große Geld machen möchtest, bis du in dieser Branche wirklich nicht an der richtigen Stelle. Und das Gemeine: Das alles erfährst du natürlich erst NACH deinem Einstieg.
Wie zum Henker kommt man da rein?
Der Einstieg in die Verlagsbranche ist eigentlich nicht schwer – man braucht nur echt eine Menge Ausdauer. Obligatorisch für den Einstieg im Lektorat ist ein Volontariat (das meistens zwischen 1 und 1 ½ Jahren dauert und übrigens rechtlich nicht vergütet werden muss – nicht nur mit Mindestlohn, gar nicht). Um an ein Volontariat zu kommen, braucht man aber in der Regel auch schon Praktika – am liebsten sind den Geschäftsführenden natürlich die unvergüteten Pflichtpraktika, die man im Studium absolvieren soll. Du hast also in aller Regel 1 Semester Praktikum gemacht, danach 1 bis 1 ½ Jahre Volontariat – und dann bekommst du gerne auch noch mal einen Juniortitel, der dann immer noch nicht voll vergütet wird. Ein abgeschlossenes Studium ist Voraussetzung – wenn du das WIRKLICH willst, könntest du zum Beispiel Buchwesen studieren, da hast du dann auch noch die wirtschaftlichen Aspekte der Branche mit drin.
Ein bisschen anders sieht es im Vertrieb aus (da ist eine kaufmännische Ausbildung Voraussetzung), oder in der Grafik (Ausbildung oder Studium und dann oft noch ein Traineeship) oder auch in der Herstellung (hier sind ausgebildete Drucker*innen gern gesehen).
Versau es nicht – aber no pressure!
Die Arbeit im Lektorat geht mit einer ziemlichen Verantwortung einher. Das Impressum fehlt? Da sind noch Kommasetzungs-Fehler im Buch? Der Absatz hier steht aber viel zu hoch oder zu tief? Das alles sind Fehler, die den Lektorierenden passiert sind.
Die Arbeit in diesem Bereich erfordert allgemein ein hohes Maß an Konzentration – denn was gedruckt ist, ist nun mal gedruckt. Und da ist es schwierig, sich im Vorfeld einen miesen Tag zu leisten, an dem man nun mal nicht den Kopf dafür hat, den Satz noch mal zu überprüfen oder die richtigen Farbeinstellungen vorzunehmen. Gleichzeitig sitzen einem aber ein Haufen Deadlines im Nacken und man muss zusehen, dass man seine Aufgaben zuverlässig abarbeitet.
Kurzum: Viel Verantwortung bei hohem Zeitdruck und zwingend gleichbleibender Arbeitsqualität. Ja, das schlaucht. Vor allem am Anfang, wenn die Routine fehlt und man viele Dinge auch einfach noch nicht so sieht.
Alte weiße Männer
Die Verlagsbranche ist keine besonders inklusive Branche. Die Angestellten sind in den allermeisten Fällen weiße Akademiker_innen, das schließt einfach schon per se Personen aus. Dazu kommt noch das verdächtige Phänomen, dass die Angestellten meistens weiblich oder divers sind, die Geschäftsleitung / der Verleger / der Marketingchef aber fast immer mittelalte oder alte weiße Männer sind. Coincidence? Mein Tipp, wenn du den Frust vermeiden willst, das Gefühl zu haben, den Porsche deines Chefs vor der Tür zu finanzieren, während du auf das nächste Paar Schuhe sparst: Such dir einen Verlag, der nicht Inhabergeführt ist. Verlagshäuser werden gerne vererbt. Wenn du da aber eine*n Vorgesetzte*n findest, der*die auch nur angestellt ist, macht das meiner Erfahrung nach auch schon viel aus.
Quo vadis? Standorte!
Wer in der Verlagsbranche arbeiten will, muss in der Regel umziehen. Denn Verlage gibt es nicht wie Sand am Meer. Die großen Zentren der Branche sind: München, Frankfurt, Hamburg, Berlin. Einige Groß- und Kleinverlage verteilen sich natürlich auch noch weiter über Deutschland, aber wenn du in dieser Branche arbeiten willst, kann es gut sein, dass du dich in einer dieser Städte wiederfindest und dann auch daran gebunden bleibst – denn in der Regel reagieren Verlage eher allergisch auf die Frage nach 100 % Remotearbeit. Wenn du in deiner Standortwahl flexibel bist: Supi! Wenn nicht: Vielleicht ist es doch eine andere Branche?
Alles neu macht … man einfach nicht
Die Verlagsbranche jammert. Viel. Das Medium Buch stirbt, niemand liest mehr, Menschen kaufen dies, aber das nicht – alles ist furchtbar. Komischerweise kommt aber nie jemand auf die Idee, mal Prozesse neu zu machen, innovative Konzepte umzusetzen, oder frischen Wind in den Markt zu bringen. Stattdessen herrscht eine „Das haben wir schon immer so gemacht“-Mentalität und die Digitalisierung von z. B. Vertragsunterzeichnungen wird schon frenetisch jubelnd als Revolution der halben Branche hingestellt. Disclaimer: Not all Verlage. Aber wenn man jung und motiviert mit der Verlagsarbeit anfängt, muss man sich sehr oft sehr schnell mit dem Gedanken anfreunden, dass man an vielen Innovationsbremsen einfach nicht vorbei kommt und die guten Ideen vielleicht nicht für alle so gut sind.
Wenn du jetzt immer noch Bock hast, in die Verlagsbranche einzusteigen, kann ich dir nur gratulieren: Du wirst einen abwechslungsreichen Job haben, mit dem schönsten Medium der Welt arbeiten und die Früchte deiner Arbeit kannst du dir hübsch gedruckt neben deinem Schreibtisch ins Regal stellen. Auch wenn in diesem Bereich der Arbeitswelt einiges schiefläuft und du viel fluchen wirst, ist die Arbeit mit Büchern immer noch einfach eine fantastische Aufgabe.
Erwarte nur nicht den heiligen Gral des Berufswesens …
Ein paar Kommentare von jemandem, der auch den tollsten Job der Welt hat (bitte nicht nach Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehlern suchen 😉 ):
Wie kommt man da rein: Mein Werdegang war tatsächlich so, wie von dir beschrieben. Es kamen auch Glück und der richtige Zeitpunkt hinzu. 🙂 Und es ist abhängig vom jeweiligen Lektoratsleiter. Ich habe schon Leiterinnen erlebt, die echte Powerfrauen waren, aber dann eben auch nur extrovertierte Powerfrauen eingestellt haben. Und auch schon Leiter, bei denen auch die Introvertierten, Ruhigen einen Platz gefunden haben. Aber „Ich lese gern“ reicht auf jeden Fall nicht für eine Einstellung. Wir hatten mal eine Volontärin, die mit glänzenden Augen auf das Archiv geschaut hat und so glücklich war, nun den ganzen Tag lesen zu dürfen … Dass zum Lektorat auch Akquise gehört, das Prüfen von mittelmäßigen und schlechten Manuskripten, Waschzettel und Kalkulationen, Vertragsverhandlungen, Korrektur und/oder Durchsicht und Abgleichen von Satzfahnen …, das sehen viele nicht. Und wenn wir ehrlich sind, macht es auch nicht immer Spaß, den ganzen Tag zu lesen, denn man liest ja nicht nur Dinge, die man privat auch lesen würde.
Alte weiße Männer: Yupp, ist auch bei uns so. Du hast ein Kind, willst oder kannst nicht ganztags arbeiten – das war es dann mit der Führungsposition.
Homeoffice: Das sieht tatsächlich bei uns anders aus. Es gibt diverse Lektorinnen (wir sind allesamt Frauen!), die nicht einmal in der Standortnähe wohnen, also nur remote arbeiten, und das ist auch kein Problem. Bei uns haben alle (!) Mitarbeitenden die Möglichkeit, zwischen drei Modellen zu wählen: 1. nur im Homeoffice, 2. nur vor Ort, 3. hybrid (2-3 Tage vor Ort bzw. im HO).
Alles neu …: Das ist die Krux: Einerseits startest du hin und wieder Testballons, probierst etwas Neues aus – aber wenn es nicht klappt, bist du beim nächsten Mal deutlich vorsichtiger. Ein ehemaliger Vertriebsleiter hat mal gesagt: Du brauchst als Verlag ein Standbein und ein Spielbein – ein gutes Fundament an bewährten Büchern/Konzepten, das es dir dann erlaubt, auch einmal andere Dinge auszuprobieren.
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Hehe, um die Fehlersuche musst du dir schon mal keine Gedanken machen – ich bin nicht im Dienst 😃
Ich freue mich total (bzw. bedauere), dass du uuungefähr dieselben Erfahrungen in der Branche machen konntest wie ich. Zum Thema „Ich lese gern“: Ich hatte mal eine Vorgesetzte, die mir wörtlich sagte „Ich weiß ja nicht, ob das so dein Job ist. Du liebst Bücher einfach zu sehr.“ Ich habe erst sehr spät verstanden, was sie gemeint hat, weil ich da noch in der Archiv-Phase war, in der eure Volontärin auch herumgeschwebt ist. Man sieht einfach Bücher ganz anders und verliert auch (würde ich sagen) eine gehörige Portion Alltags-Lesespaß mit dem professioneller werdenden Blick auf das „Produkt Buch“. Es gibt halt auch zu viele Buchstaben für einen Tag 😃.
Supercool, dass ihr so ein flexibles Homeoffice-Konzept habt! Bei vielen gibt es ja mittlerweile immerhin die Hybrid-Option, aber oft sehe ich, dass es nicht selbstverständlich ist, sondern man sich das Homeoffice langjährig „erarbeiten“ oder ausschweifend begründen muss und dann schon der Freitag zu Hause ein Event ist. Voll schön, dass es doch die Häuser gibt, in denen das fraglos angeboten wird.
Danke dir für deinen ausführlichen Kommentar und ganz liebe, kollegiale Grüße 🙂
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Ich stelle bei neuen Kolleginnen fest: Sie verspüren gerade in den ersten Monaten (teils auch länger) keine Lust, abends noch privat irgendetwas zu lesen. Mir ging es damals nicht anders. 😉 Wenn Du jedes Buch, das Du privat liest, plötzlich durch die Lektorenbrille betrachtest („Da fehlt ein Komma … Das ist schlecht aus dem Englischen übersetzt … Die Formulierung ist aber schräg …“), vergeht Dir irgendwann die Lust. 😉
Was ich gerade einer jungen Kollegin „austreibe“, die vor einem Jahr bei uns angefangen hat: den Drang, die Arbeit perfekt zu machen. Es macht sie schier kaputt, immer sie über Fehler oder Unschönes stolpert. Zum einen betreut man ja nicht nur vier, fünf Projekte pro Halbjahr und muss daneben noch Akquise betreiben. Zum anderen wird ein Projekt nie „perfekt“ sein. Selbst ich schlage nach vielen Berufsjahren noch „meine“ Bücher auf und denke: Das hättest du hier oder da aber besser machen können.
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