Jenseits von Bridgerton – Der historische Liebesroman

Seien wir ehrlich: Wir haben alle schon mal über diese albernen Cora Historical-Heftchen geschmunzelt. Allein schon die Cover mit den nur spärlich bekleideten, orgastisch dreinguckenden Muskelmännern und den vor Hingabe halbtoten Frauen in den Wallakleidern – und dann die kitschigen Titel!

Gut, dass Bridgerton einen Trend gesetzt hat, indem es eine ausreichend anspruchsvolle Buchvorlage geliefert hat, dass man eine clevere, nuancierte Serienadaption schaffen konnte. Noch besser, dass es jetzt lauter Epigonen mit würdevolleren Covern auf dem Buchmarkt gibt, die sich gleichfalls von dem etwas biederen, eskapistischen Müll abheben, den das Genre sonst so zu bieten hat, sodass man sich seine süße historische Romanze geben kann, ohne dass man sich lächerlichen, mies recherchierten Mist von ignoranten, sexuell frustrierten Autorinnen voller hilf- und nutzloser Heldinnen und brutaler, unberechenbarer Helden antun muss.

Außer, dass das nicht stimmt. Nichts davon. Bridgerton ist wirklich typisch für das Historical Romance Genre, eher noch tendenziell regressiv, und die ganzen Epigonen tragen nichts neues dazu bei.

Historical Romance

Wenn man sich die Autor*innen von historischen Liebesromanen anschaut, wird rasch deutlich, dass es sich bei ihnen oftmals um hochgebildete Personen handelt: Sie sind Anwält*innen, Politikwissenschaftler*innen, Geschichts-Doktor*innen. Sie wissen, wie man recherchiert, und sie erledigen das oft sehr gut. Und weder sie noch die Leser*innen schauen sich die Cover an und lesen die albernen Titel darauf und denken sich: „Welch wundervolles Kunstwerk, wirklich hinreißend, wir haben es hier mit wahrlich ernstzunehmender Kunst zu tun, fies einfach, dass wir so etwas nicht an der Öffentlichkeit lesen können, ohne belächelt zu werden!“

Das ist ja auch ganz offensichtlich. Sei ehrlich: Wie alt war das letzte Buch, an dem du ein solches Cover gesehen hast?

Nein, wir Leser*innen historischer Liebesromane sehen diese Cover und Titel und finden sie genauso lächerlich wie Nicht-Leser*innen. Viele von uns verstecken ihre Bücher hinter Magazinen oder hübschen selbstgemachten Stoffcovern, aber weil wir das Genre lieben, sagen viele andere von uns auch: „Wie absolut albern, ich finde es super!“

Historische Liebesromane haben, vielleicht mehr als andere Liebesroman-Subgenres, den Ruf weg als eskapistische Sexfantasien. Leider trägt dazu auch die schwere Vergangenheit des Genres bei, die voller Sexismus, Rassismus und Missbrauch steckt.

Und jedes Jahr, meistens um den Valentinstag, meint irgendein Magazin, den neuesten vermeintlichen Hot Take veröffentlichen zu müssen, in dem es das Genre „Bodice Ripper“ nennt und sich auf Tropes bezieht, die seit den 90er Jahren nur noch wirklich selten bis gar nicht mehr anzutreffen sind. Das wäre vergleichbar damit, wenn ein Magazin im Jahr 2024 einen Artikel über High Fantasy veröffentlichen würde, die es darin jedoch als „moderne Märchen“ bezeichnet und darüber redet, dass jeder einzelne High Fantasy Roman sich strikt an die Formel der Heldenreise nach Campbell hält, wobei ein tapferer Ritter eine Jungfrau vor einem Drachen rettet.

Seien wir ehrlich, viel Ablehnung des Genres basiert auf reiner Misogynie.

Wie also findet man sich in dem Genre zurecht?

Es ist wichtig, eines zu verstehen: Historical Romance will oft gar nicht historisch plausibel sein. Natürlich gibt es absolut exzellent recherchierte historische Liebesromane, die sich nuanciert mit damals und auch heute aktuellen politischen Themen befassen und sich intelligent mit kritischen historischen Themen wie Kolonialismus auseinandersetzen, aber ebenso gibt es die, die eher in einer auf dem 19. (oder jedem anderen) Jahrhundert basierenden Fantasiewelt spielen, in der aller möglicher absurder Kram passieren kann.

In einem schlechten historischen Liebesroman riecht das dann einfach nach Recherchefaulheit, in einem guten jedoch merkt man, dass di*er Autor*in prima recherchiert hat, aber bewusst die so erlernten Regeln bricht und über Bord wirft, sich selbst und das Geschriebene auch nicht todernst nimmt und sein*ihre Leserschaft einlädt, herrlich mit ihr*m zu lachen.

Und: Nur weil etwas historisch nicht plausibel ist, ist es ja längst nicht historisch unmöglich.

Der „Klassiker“ unter den Verlagen für historische Liebesromane ist natürlich Cora, und dabei machen sich Bücher, die nicht von einem Pärchen handeln, das aus cis Frau und cis Mann besteht, beide weiß und abled, sehr rar. Das heißt aber nicht, dass es sie nicht gibt und auch bekannte Autor*innen des Genres bringen heute in größeren Verlagen viele Romane voller Repräsentation heraus, oft Own Voice.

Empfehlungen

Als letzte Anmerkung: In diesem Genre muss man nicht zwingend den ersten Band einer Reihe lesen, um den zweiten zu verstehen, und so weiter. Wenn euch also der fünfte Band am meisten anspricht, fangt ruhig mit dem an. Und damit präsentiere ich ein paar persönliche Lieblinge in keiner bestimmten Reihenfolge, falls jemand einen Einstieg sucht:

The Duke Who Didn’t (Courtney Milan, 2020): Own voice Roman in einer englischen Kleinstadt der 1890er über eine chinesische Heldin und einen chinesischen Helden in einer Grumpy/Sunshine-Dynamik. Die Autorin hat auch Bücher mit mlm, wlw und weiterer BIPoC Repräsentation verfasst.

The Christmas Angle (Carla Kelly, 2016): Diese Autorin ist für ihre „dukeless“ Liebesromane bekannt, die also vom normalen Volk handeln, in diesem Fall einem genialen Matrosen, der während der Regency der Mathelehrer der kleinen Brüder einer Pfarrerstochter wird.

Fingersmith (Sarah Waters, 2002): Own voice wlw Romance mit düsteren Themen über zwei Heldinnen aus unterschiedlichen sozialen Klassen, der im London der 1860er spielt. Sarah Waters ist Autorin mehrerer Romane mit sapphischen Paaren.

Marrying Winterborne (Lisa Kleypas, 2016): Was diese Autorin richtig gut macht, ist, Helden zu schreiben, die hemdsärmelig und ein bisschen grob sind, ohne brutal zu sein. Das Buch gibt außerdem sehr genüssliche Einblicke in Kaufhäuser der 1870er.

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