Dark Academia – Ein Überblick

Dark Academia ist Trend, sowohl als Internet-Ästhetik wie auch als Genre in verschiedenen Medien. Doch was ist das Genre, woher kommt es und was macht es aus? Zum zehnjährigen Jubiläum des Begriffs will ich einen Blick darauf werfen.

Die Geschichte von Dark Academia

Der Name der Ästhetik kommt von Ana Alsan, welche den Begriff 2014 das erste Mal verwendete (Bateman, 2020). Damals beschrieb Alsan auf ihren ästhetischen Blogs auf Tumblr (Alsan, 2024) und Instagram mit dem Begriff nicht exakt das, was wir heute darunter verstehen, doch die Anfänge waren bereits zu sehen.

Heute versteht man unter der Ästhetik düster-atmosphärische Fotos in ausgewaschenen Farben, oft Braun- und Sepiatönen, welche einen Eindruck davon vermitteln, an einer ehrwürdigen alten Universität zu studieren, besonders Geisteswissenschaften: Es gibt Fotos alter Bücher, gotischer Gemäuer und Kleidung, die mit dem britischen Adel, Torys und prestigeträchtigen Schulen wie Eton assoziiert wird.

Besondere Aufmerksamkeit bekam die Dark Academia-Ästhetik erstmalig im Jahr 2020, als während der Lockdowns alle daheim waren und viel Zeit hatten (Adriaansen, 2022). Die Pandemie war der große Gleichmacher. Plötzlich wirkte alles, auch Schule und Uni, allen Strapazen zum Trotz besser als das ewige Herumsitzen daheim, alle hatten die Gelegenheit, sich zu Gelehrten zu machen, und Oxford und Harvard waren für alle gleich weit weg.

Dark Academia als Genre

Sicher kennst du bekannte moderne Werke der Dark Academia, wie If We Were Villains (M.L. Rio, 2017), Babel (Rebecca F. Kuang, 2022) oder Ninth House (Leigh Bardugo, 2019). Doch natürlich entstanden die ersten Werke, die wir heute als Dark Academia bezeichnen, nicht erst ab 2014. Viele Filme, Bücher und andere Medien wurden retroaktiv in das Genre eingeordnet.

Das Bekannteste, gar der Codifier, ist dabei natürlich Donna Tartts The Secret History (1992) (Murray, 2023). Doch das Genre ist weit älter: Vor fast 100 Jahren, im Jahr 1929, verfasste Patrick Hamilton das Theaterstück Rope, das 1948 von Alfred Hitchcock verfilmt worden ist.

Geschichten um Schulen und Universitäten, an denen mysteriöse Machenschaften vor sich gehen, sind jedoch seit dem 19. Jahrhundert beliebt (Wikipedia, 2024) und sind sicher, wo das Genre seine Wurzeln hat.

Tropes und Themen

Natürlich ist nicht jeder Roman, der an einer Uni oder schicken Privatschule spielt und/oder einigermaßen düstere Themen hat, deswegen gleich Dark Academia.

Dark Academia befasst sich im Kern mit den schönsten und den hässlichsten Seiten von Academia: Es dreht sich generell um ein bestimmtes Studienfach bzw. eine bestimmte Wissenschaft und oft ein spezifisches Subjekt darin, die tiefe Liebe, die die Charaktere dazu empfinden, den innigen Bund, den sie sich in dessen Kontext teilen. Es dreht sich aber auch darum, wie diese Liebe in Obsession umschlägt, die Innigkeit in Missgunst und akademische Rivalität, und um all die systemische Diskriminierung in Academia. Typischerweise ist das zentrale Studienfach in den Geisteswissenschaften angesiedelt und hat oft wenig praktische Anwendbarkeit in der Berufswelt, sondern wird um seiner selbst willen studiert.

In The Secret History stecken die Charaktere so tief in ihren Altertumswissenschaften, dass sie viele der Ansichten der antiken Römer teilen, die sie studieren, die gleichen Rituale durchführen wollen wie sie und dabei einen Mord begehen. Der Titel kommt von Procopius’ Werk desselben Namens, in der er die Schattenseite des Lebens am Hof Kaiser Justinians I. beschreibt.

In If We Were Villains sind die Charaktere so leidenschaftliche Shakespearsche Schauspielende, dass sie nicht mehr klar unterscheiden können, wo ihre Rollen in den Stücken enden und wo sie im echten Leben beginnen. Sie führen ganze Unterhaltungen nur in Shakespeare-Zitaten. Der Titel stellt die Frage, ob die Charaktere den Mord, der auch hier stattfindet, und alles, was folgt, aus freien Stücken begangen haben oder ob es ihr Schicksal war. Das Buch selbst ist aufgebaut und in Akte eingeteilt wie ein Shakespeare-Stück.

Die Obsession mit dem Studienfach, diese Hingabe bis hin zum Schmerz oder gar Tod, ist ein wichtiges Motiv und lässt sich auch z.B. in All That Consumes Us (Erica Waters, 2023) und The Cloisters (Katy Hays, 2022) beobachten. Das ist der Knackpunkt des Genres, wie wir es heute kennen, wortwörtlich der Academia-Teil im Ausdruck „Dark Academia“. Ohne Freude am, Liebe zu und Besessenheit von dem Studienfach – oder wenigstens einem verwandten Motiv auf der Metaebene – ist es kein Dark Academia. Folglich ist Dark Academia auch inhärent ein Genre mit einem gewissen Anspruch und nicht dazu gedacht, zur gedankenlosen Unterhaltung rasch weggelesen zu werden.

Ein Mord, mysteriöses Verschwinden oder anderes Verbrechen ist ein typischer Konflikt und findet sich außer in allen oben genannten Werken z.B. auch in A Lesson In Vengeance (Victoria Lee, 2021) und Catherine House (Elizabeth Thomas, 2020). Diese Verbrechen geschehen oft im Rahmen einer intellektuellen oder akademischen Herausforderung, so etwa in The Secret History, Catherine House und Rope. Ebenso sind die Zugehörigkeit zu einem kleinen illustren Kreis und Found Family häufige Motive und finden sich außer in vielen der bereits genannten Werke z.B. in Bunny (Mona Awad, 2019) und dem Film Dead Poets Society (Peter Weir, 1989).

Außer Morden und Geheimnissen dient Dark Academia oft dem Zweck, die Schattenseiten von Academia zu behandeln und Kritik daran zu üben: Ace of Spades (Faridah Àbíké-Íyímídé, 2021) behandelt institutionellen Rassismus an Universitäten, Babel den britischen Imperialismus, auf dem die ganze Academia beruht. Viele der Protagonist*innen (so auch in The Secret History und If We Were Villains) sind finanziell benachteiligt.

Andere häufige Themen und Elemente sind moralisch graue Charaktere, mysteriöse Mentoren, das Streben nach Perfektion um jeden Preis, Kontrolle und Kontrollverlust, Tradition und Rebellion, Geschichte und Zukunft, Schuld und Sühne, Elitismus und Marginalisierung, (psychische) Gesundheit und Krankheit, Leistungsdruck, Intellektualismus sowie Selbstfindung. Ähnlich wie das Gothic-Genre ist Dark Academia inhärent derivativ und bezieht sich auf einer Metaebene häufig auf sich selbst.

Natürlich ist eine Universität ein klassischer Schauplatz und dabei besonders oft alte, traditionsreiche Institutionen in Großbritannien oder Neuengland, mit Studierenden als Protagonist*innen. Aber natürlich kann ebenso jemand, der dort arbeitet und/oder forscht, ein*e Protagonist*in sein, wie in The Maidens (Alex Michaelides, 2021), und es sind viele andere Schauplätze denkbar, z.B. ein Internat wie in Madam (Phoebe Wynn, 2021) oder das real existierende Museum The Cloisters im gleichnamigen Roman.

Übernatürliche Elemente sind optional und gehen dabei generell eher in Richtung Schauerroman oder magischer Realismus und weniger in Richtung Fantasy.

Wie jedes andere Genre ist auch Dark Academia mehr als die Summe seiner Teile. Viele Werke weisen diese Tropes und Themen auf, ohne selbst Dark Academia zu sein, wie Vampire Academy (Richelle Mead, 2007), Picnic At Hanging Rock (Joan Lindsay, 1967) The Mona Lisa Smile (Mike Newell, 2003), The Imitation Game (Morton Tyldum, 2014), A Great and Terrible Beauty (Libba Bray, 2003) oder selbst Harry Potter (J.K. Rowling, 1997).

Was macht ein Werk letzten Endes Dark Academia oder eben nicht? Wie bei vielen Genres unterliegt das sicherlich teils dem persönlichen Empfinden, teils lässt es sich einfach zusammenfassen als: „Wenn du es vor dir hast, weißt du es.“

Was kommt auf uns zu?

Auffallend ist natürlich, dass viele frühe Werke der Dark Academia, wie Rope, The Secret History und Dead Poets Society, sehr (cis) männlich und weiß sind, wenn auch oft mit homoerotischem Subtext. Seit der Kodifizierung des Genres hat sich in diesem Bereich jedoch Erhebliches getan und so haben viele Dark Academia-Romane weibliche, queere und/oder Protagonist*innen of Colour.

Kritik am Institut der Academia ist ein häufiges Motiv, beinahe ein Must-Have – also exakt das, wofür die Ästhetik desselben Namens häufig bemängelt wird. Dennoch findet sich im Genre insgesamt (wie in Academia selbst) noch immer ein starker Eurozentrismus. Es bleibt abzuwarten, ob, und zu hoffen, dass sich dies in Zukunft ändern wird.


Adriaansen, R.-J. (2022). Dark Academia: Curating Affective History in a COVID-Era Internet Aesthetic. URL: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/iph-2022-2047/html?lang=en

Alsan, A. (2018-2024). Persönlicher Tumblr Account. URL: https://darqacademia.tumblr.com/

Bateman, K. (2020) What is the TikTok subculture Dark Academia. URL: https://www.nytimes.com/2020/06/30/style/dark-academia-tiktok.html

Murray, S. (2023). Dark Academia: Bookishness, Readerly Self-fashioning and the Digital Afterlife of Donna Tartt’s The Secret History. URL: https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/0013838X.2023.2170596

Wikipedia (2024). School Story. URL: https://en.wikipedia.org/wiki/School_story (Zuletzt abgerufen am 15.06.2024)

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