Die aktuelle literarische Landschaft ist durchdrungen von einem Überangebot an romantischen Erzählungen, die oft stereotype Muster und fragwürdige Beziehungsdynamiken perpetuieren. Diese Geschichten, z.B. Romantasy oder Romance, sind geprägt von hypermännlichen Protagonisten, sogenannten Bad Boys, sowie leicht naiven weiblichen Figuren, und suggerieren ein trügerisches Bild von Romantik und Liebe.
Dieser Text nimmt eine kritische Perspektive auf diese Thematik ein und untersucht, wie der moderne Liebesroman dazu beiträgt, unrealistische Erwartungen zu schüren und problematische Beziehungsmuster zu normalisieren.
Der Psychologe Robert J. Sternberg (2002) hat in seinem Werk „Warum der Gärtner nie auf die Prinzessin hereinfällt “ einen faszinierenden Einblick in die Psychologie der Liebe geliefert. Sternberg betont, dass individuelle Liebesgeschichten stark von Umweltfaktoren und persönlichen Erfahrungen geprägt sind. Dabei identifiziert er verschiedene Arten von Liebesgeschichten, darunter asymmetrische, objektbezogene, koordinationsbezogene, literarische und genregeschichtliche.
Asymmetrie
Ein Blick auf das typische Muster moderner Liebesromane legt nahe, dass viele von ihnen asymmetrische Beziehungen porträtieren, in denen eine Partnerperson über die andere dominiert und Macht ausübt. Diese asymmetrischen Geschichten können verschiedene Formen annehmen, darunter auch solche, die von Überwachung, Kontrolle und sogar Tyrannei geprägt sind. In solchen Geschichten nutzen vor allem männliche Protagonisten ihre Macht, um ihre Partnerinnen zu kontrollieren, zu überwachen und zu manipulieren, was zu einer unnatürlichen Abhängigkeit und Unterwerfung führt.
In diesem Kontext ist es interessant, die Rolle von Geschlechterstereotypen und -rollen in modernen Liebesromanen zu betrachten. Oftmals werden traditionelle Geschlechterrollen und -klischees verstärkt, indem Männer als dominante Beschützer und Frauen als passive Empfängerinnen von Liebe und Fürsorge dargestellt werden. Diese Darstellungen können dazu beitragen, stereotype Vorstellungen von Geschlecht und Beziehung zu perpetuieren und die Vielfalt von Identitäten und Beziehungsformen zu vernachlässigen.
Heilung und Selbstwertgefühl
Ein weiteres verbreitetes Thema in modernen Liebesromanen ist die „Heilungsgeschichte“, die sich auf Beziehungen konzentriert, in denen eine Partnerperson (insbesondere die weibliche Protagonistin) versucht, die andere Person von einem Trauma oder einer Vergangenheitserfahrung zu heilen. Diese Beziehungen bergen das Risiko einer Co-Abhängigkeit, bei der die eine Person versucht, die eigenen Probleme durch die Beziehung zu lösen, was zu einer ungesunden Dynamik führen kann.
Dies betrifft hauptsächlich die Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl. Oftmals wird in modernen Liebesgeschichten der Selbstwert einer Figur stark von der Anerkennung und Liebe ihres Love Interests abhängig gemacht. Dies kann dazu führen, dass Personen sich selbst weniger wert fühlen, wenn sie keine romantische Partnerschaft haben oder wenn ihre Beziehung nicht den idealisierten Vorstellungen entspricht, die in der Literatur propagiert werden. Psychologische Forschung zeigt, dass ein gesundes Selbstwertgefühl, das unabhängig von externer Zustimmung ist, entscheidend für das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit ist (z.B. Kohärenzgefühl von Antonovsky, 1997).
Es ist wichtig anzumerken, dass solche Romance-Storys oft den „Entstehungszustand“ der Liebe darstellen, in dem das Paar frisch verliebt ist und die Verliebtheit alle anderen Aspekte überdeckt. Diese anfängliche Zuneigung kann jedoch dazu führen, dass Menschen in ungesunden Beziehungen verharren, die langfristig schädlich sind. Der Drang nach Zuneigung und Nähe kann das Urteilsvermögen beeinträchtigen und Menschen dazu bringen, in Beziehungen zu bleiben, die sie eigentlich verlassen sollten (Halpern, 2015).
Insbesondere Konflikte und deren Bewältigung werden in Liebesromanen dramatisiert und unrealistisch gelöst, indem eine romantische Geste oder ein großes Geständnis alle Probleme auf einmal löst. In der Realität erfordern Konflikte jedoch oft Kommunikation, Kompromiss und eine kontinuierliche Arbeit an der Beziehung, die in der Literatur oft vernachlässigt wird.
Durch die Integration psychologischer Analysen können wir ein umfassenderes Verständnis für die Komplexität romantischer Beziehungen in der Literatur gewinnen und eine kritische Reflexion über die Darstellung von Liebe und Romantik anstoßen. Insgesamt ist es wichtig, die Darstellung von Liebe und Beziehung in der Literatur kritisch zu hinterfragen und realistischere und gesündere Beziehungsdynamiken zu fördern. Literatur kann eine mächtige Plattform sein, um Bewusstsein zu schaffen und positive Veränderungen in unserer Wahrnehmung von Liebe und Romantik zu fördern.
Quellen:
Antonovsky, A. (1997) Salutogenese – Zur Entmystifizierung der Gesundheit. dgvt
Halpern, H.M. (2015). Liebe und Abhängigkeit. 11. Auflage. Iskopress. URL: https://www.iskopress.de/leseproben/413.pdf
Sternberg, R.J. (2002). Warum der Gärtner nie auf die Prinzessin hereinfällt – Das verborgene Drehbuch unserer Beziehungen. Knaur